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Mutige Schritte - Starke Frauen

50 Jahre Gleichstellung im Pfarrberuf

Dieses Jubiläum feiert die EKHN in diesem Jahr. Denn seit genau 50 Jahren sind Frauen und Männer in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau gleichgestellt. Bis dahin war es ein weiter Weg. Eine der ersten Frauen im Pfarrberuf und die zweite Dekanin über-haupt in der EKHN war Claudine Geddert. Von 1965 bis 1997 war sie Pfarrerin von Bingenheim und Leidhecken.

Die ersten Frauen begannen ab 1909mit dem Theologie-Studium, aller-dings ließ man sie noch nicht zum Examen zu. Nach dem ersten Welt-krieg bekamen Frauen die bürgerlichen Rechte und durften auch das Examen ablegen.

Bereits 1925 bildeten die ersten Theologinnen den „Verband evangelischer Theologinnen“. Sie forderten ein Amt in der Kirche, das reguläre Pfarramt. Doch bis dahin sollte es noch dauern. Zunächst durften Frauen auf besonderen, für sie errichteten Stellen arbeiten. Zumeist gaben sie Schul- und Konfirmandenunterricht, hielten Kindergottesdienste und Bibelstunden und versahen die Seelsorge für Kranke oder Gefangene. Für das Gemeinde-Pfarramt hielt man Frauen für nicht geeignet. Doch der Krieg schuf neue Verhältnisse: Während viele Männer einberufen wurden, hielten ihre Ehefrauen das Gemeindeleben aufrecht. Viele hatten selbst Theologie studiert und machten den vollen Gemeindedienst.

Das kennen die Gemeinden Leidhecken und Bingenheim auch aus Erfahrung, denn aus den 1940erJahren berichtet die Bingenheimer Pfarrchronik folgendes: Deshalb begann Ilse Hedderich, die Frau von Pfarrer Hedderich aus Staden, „die kinderlos war und vor ihrer Verheiratung zwei Semester Theologie studiert hatte, tapfer nicht nur in Staden und Stammheim, sondern auch in Leidhecken ihren Mann zu vertreten. [...] Die wackere Praedicantin wurde in Leidhecken nicht ungern gehört und ihre Seelsorge in den Häusern dankbar begrüßt, weil sie aus Gottes Wort und Reichtum etwas auszuteilen hatte.“

Und über Bingenheim wird berichtet, dass während der kriegsbedingten Abwesenheit ihres Mannes „...die Casualien, der Unterricht und die Verwaltung von Bingenheim mit Hilfe von Frau Christine Nehb besorgt wurden, die als ausgebildete Pfarrgehilfin [...] den Unterricht hielt, so sehr muss diese Arbeit der begabten Dame anerkannt werden.“

Doch nach 1945 fuhr man in den einzelnen Landeskirchen fort, für Frauen eigene Stellen mit weniger Verantwortung, geringerer Bezahlung und ohne Predigtrecht zu schaffen.

Ab den 50er Jahren gab es aber immer weniger Männer, die Pfarrer werden wollten. Gleichzeitig gab es gut ausgebildete Frauen, die ins Amt drängten. Vereinzelt hatten Frauen auch schon Gemeindepfarrämter inne, immer als Sonderfall und oft mit unklarer rechtlicher Stellung.

1957erlaubte die EKHN schließlich Frauen ein normales Gemeindepfarramt zu übernehmen mit demselben Gehalt. Allerdings mussten die Frauen unverheiratet bleiben. Die „Bürde des Amtes“ hielt man für unvereinbar mit den „Pflichten der Ehefrau“.

Auch das änderte sich in den 60ern: Ab 1968 galt dann in der EKHN, dass auch verheiratete Frauen als Pfarrerin arbeiten durften.

Seit 1971gilt die völlige Gleichstellung. Zum ersten Mal wurden im kirchlichen Beamtenrecht keine Unterscheidungen mehr zwischen Männern und Frauen vorgenommen. Damals ein Novum! Damit durften auch Männer sich z.B. aus familiären Gründen beurlauben lassen.

Eine der Frauen, die Ende der 1950er Jahre Theologie studierte, war Claudine Geddert, Pfarrerstochter und viel später die erste Pfarrerin von Bingenheim. Für Frauen, die Theologie studiert hatten, gab es damals einen eigenen Vikarinnenkurs in Berlin. „Die hatten damals Angst, dass wir die Männer verführen könnten!“ erinnert sich die heute 85-jährige lachend.

Claudine Geddert bekam Arbeit in Neuendettelsau und Ansbach in Bayern, aber keine Pfarrstelle, erinnert sie sich heute: „Ich habe sehr viel Unterricht gehalten. Das war für die Pfarrer natürlich sehr entlastend. Ich habe Jugendarbeit gemacht -vorwiegend mit Mädchen, Bibelstunden, Krankenhausseelsorge. Das war viel Arbeit und ich war in dieser Position nicht glücklich. Ich war in der Kette das letzte Glied.“ Sie durfte kaum Entscheidungen treffen und sie sagt: „Ich durfte keine Kanzel betreten!“

Für Theologinnen gab es damals in Bayern keine Aussicht auf eine Pfarrstelle. Deshalb bewarb sich Claudine Geddert 1965 in Hessen um eine Pfarrstelle auf dem Land. Denn die EKHN war damals die einzige Landeskirche, die Frauen ordinierte und mit einem ordentlichen Pfarramt beauftragte.

Die Stelle in Bingenheim war 1965 vakant und die Bingenheimer wurden gefragt, ob sie sich eine Frau als Pfarrerin vorstellen könnten. Sie sagten, das sei ihnen egal, Hauptsache ein Pfarrer. Und Frau Geddert bestätigt: „Ich kann Ihnen sagen, dass es da nie im Dorf Probleme gegeben hat.“

Und so wurde sie am 26. September 1965 in Bingenheim ordiniert. Lange Zeit war sie die einzige Frau im Kollegenkreis der Pfarrer im Dekanat Nidda. Neben Bingenheim und Leidhecken hat sie in unterschiedlichen Zeiten auch die Vertretung für Gettenau, Bisses und Echzell übernommen, auch in weiteren Gemeinden war sie oft präsent.

1985 wurde Claudine Geddert zur Dekanin gewählt, wobei damals der Favorit für die Stelle eigentlich ein Mann war. Sie notiert in der Bingenheimer Chronik: „Ich denke, ich bin hauptsächlich von den Laien gewählt worden, die mich von den häufigen Vertretungen her kannten.

Die Überraschung war für alle sehr groß, auch die Kränkung auf der anderen Seite. Es geschieht hier auch ein großes Stück Emanzipation.[...] Dass solch ein ländliches Dekanat eine Frau wählt, beweist, dass Menschen auf dem Land durchaus nicht nur in eingefahrenen Gleisen denken.“

Doch von Seiten der Pfarrkollegen gibt es zunächst ein wenig Widerstand gegen eine weibliche Dekanin. In der Pfarrchronik schreibt Dekanin Geddert zu ihrer Amtseinführung: „Eine Feier, die ich mir sowohl beim Propst als auch bei meinen Amtsbrüdern ertrotzen muss.

Man meinte, das ginge doch auch mal so in einer Abendandacht(!). Leider ist das im kirchlichen Dienst - beider Konfessionen - sehr oft so, dass man Frauen für die Arbeit mehr und mehr brauchen kann, ihnen aber die Ehre verweigert.[...].

Die überwiegende Mehrheit der Amtsbrüder fügt sich schließlich nach dem verständlichen Schock und arbeitet sehr fair mit mir zusammen.“

Claudine Geddert bleibt bis zu ihrer Pensionierung 1997 in Bingenheim. Ein zweites Mal tritt sie nicht zur Wahl als Dekanin an, denn ihre Pensionierung war schon greifbar.

Sie sagt: „Ich wollte Leutepriester sein, ich wollte für Menschen da sein. Das Dekane-Amt ist doch eine erhebliche zeitliche Belastung gewesen.“ So hatte sie in den letzten Jahren wieder mehr Zeit für die Menschen in Bingenheim und Leidhecken.

Im Gespräch mit ihr spürt man keine Verbitterung, eher Heiterkeit über die Zeit und die Ansichten damals.

Sie sagt oft über ihre Kollegen: „Das müssen Sie einfach verstehen. Eine Frau im Amt als Pfarrerin und als Dekanin – das kannte man damals nicht!“

Sie selbst betrachtet sich nicht als Vorkämpferin oder gar als Emanze. Claudine Geddert sagt einfach: „Ich wollte diesen Beruf. Und ich bin diesen Weg gegangen.“

Alrun Kopelke


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